Weltweit wählen – Wie legitimieren sich Diktatoren

Stell dir vor, es ist Wahl und niemand geht hin. Klingt schlecht. Und nun stell dir vor, es ist Wahl und alle gehen hin, aber kaum jemand geht wählen. Klingt unmöglich? Ist es aber nicht, denn die Lösung heißt Wahlpflicht und hat Diktator_innen unschlagbare Erfolge und international demokratische Legitimation verschafft. Erfunden wurde diese Taktik in Südamerika, wo an die Macht geputschte Generäle in den 70er und 80er Jahren sich über Jahrzehnte immer wieder „demokratisch“ bestätigen ließen. Der einfache Trick bestand darin, die Nicht-Teilnahme an Wahlen mit drakonischen Geldstrafen zu belegen, es aber allen offenzuhalten, ob man sich überhaupt als Wähler_in registrieren lassen wollte.

Bis vor wenigen Jahren drohte beispielsweise in Chile jeder Wählerin und jedem Wähler eine spürbare Geldstrafe, wenn es am Wahltag versäumt wurde, ihre bzw. seine Stimme abzugeben.  Die Gründe dafür waren selbstverständlich vollständig unerheblich – wer sich einmal registrieren ließ, musste entweder an der Urne erscheinen oder sich an demselben Tag bei der örtlichen Polizei melden, um den Ausweis als verloren zu melden – die einzige akzeptable Begründung für eine Abwesenheit. Mitunter waren die Schlangen vor den Kasernen nach 18 Uhr länger als vorher vor den Wahlkabinen, denn wer es nicht rechtzeitig schaffte – z. B. weil er arbeiten musste, durfte sich dort anstellen. Anschließend galt es natürlich, einen neuen Personalausweis zu beantragen, der immerhin noch zehnmal billiger war als die Geldstrafe.

Gerade in der armen Bevölkerung war die Einstellung: „Ich bin doch nicht blöd und lasse mich registrieren“ deshalb weit verbreitet – reiche Familien hingegen interessierte die Strafe nicht weiter. Sogar unabhängige Wahlbeobachter_innen konnten auf diese Weise „freie, faire und demokratische“ Wahlen und eine hohe Wahlbeteiligung feststellen. Wirkliche Legitimation erhalten Wahlen aber nur, wenn die gesamte mündige Bevölkerung daran teilnehmen kann, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.